Feuertanz

19.11.2001

„Lass sie brennen“.

Er sagte es nicht einfach; es war fast eine Drohung, die ich, da ich ihn kenne, sehr ernst nahm.

Die Kerze brannte also weiter.

Eine billige weiße, industriell hergestellte Kerze, so wie man sie in jeder Drogerie kaufen kann. Sie steckte in einer grünen, viel zu großen Weinflasche, deren Etikett entfernt wurde und die die saubere glatte Eleganz einer edlen Flasche, in der sich ein kostbarer Tropfen verbirgt seit Jahren verloren hatte.

Ein dicker Kranz aus Wachs begrub den Flaschenhals fast völlig. Es schien fast so, als ob die Flasche zur Hälfte im Meer gelegen hätte und sich der Kolonisierung einer expansiven Korallenkultur ergeben hätte und keinen Widerstand mehr zu leisten vermag. Hier und da sah man die Spuren von Fingernägeln, welche kleinere Stückchen aus dem Wachs herausgebrochen haben mussten, um diese wahrscheinlich aus Spielerei in der Flamme zu verflüssigen. Diese Kleinigkeit nahm der Flasche auch den letzten  Rest von Ästhetik, welche ein kreativer, phantasievoller Verstand aufbringen könnte, um sich mit dem Äußeren dieses Gefäßes anzufreunden.

F blickte nicht einfach in die Flamme, er starrte völlig gebannt und grinste dämlich. Ihr wisst schon, ein Grinsen wie es ältere Tanten zu Stande bringen, wenn sie sich über einen Kinderwagen beugen und dem zweijährigem Spross der Lieblingsnichte erklären, dass sie die Tante Helga ist und dass „Duzidu“ ihre Solidarisierungsversuche mit der Jugend darstellt.

Gelegentlich durchbrach er diesen baumstumpfartigen Zustand und näherte sich auf wenige Zentimeter mit seiner Hand der Flamme.

Man denkt sich ja nichts dabei, denn schließlich sieht man, sofern man Kneipen aufsucht, ständig Leute die mit dem Feuer spielen.

Ist ja auch nichts dabei. Macht jeder irgendwann mal. Ich selbst erwische mich, wie ich gelegentlich die Flamme im eigenen Wachs ersäufe.

Diesmal wurde ich, wie schon erwähnt jedoch rüde unterbrochen.

Nach der Frage, warum er eigentlich so paralysiert glotzen würde, antwortete F leicht amüsiert mit einer Beschreibung der Flamme, die ich selbst nie so assoziiert hätte. 

„ Das ist wie ein Vorspiel. Wenn ich eine Salzbrezel wäre, müsste ich vor Erregung eine rauchen.“ 

Vielleicht hätte ich nicht fragen sollen, aber er begann nun mit einem Monolog über die Vorzüge zierlicher Frauen, welche mit empor gereckten Armein wilden, spanischen Flamenco tanzten.

Ich bin sicher, ihr kennt die Leidenschaft dieses Tanzes.

So wie diese Frauen, reckte sich die Flamme und balancierte auf dem Docht. Sie zuckte, wurde größer und erschien mir wirklich wie ein Tanz.

Man spürte die Wildheit in dieser Kraft. Sie durchzuckte einen, wie emotionale Schübe sexueller Lust.

Die Flamme brannte und die Hitze ihrer Wildheit war das Maß ihrer lebendigen Entschlossenheit.

Das Licht und die Wärme, die sie verbreitete ließ einen die Umwelt völlig ausblenden und

Die Magie ihres Tanzes fesselte einen. 

Jede Flamme ist unterschiedlich. Manchmal ist sie klein und tanzt auf einem Docht und manchmal ist sie groß und reckt uns ihre Wildheit trotzig von einem brennenden Scheit Holz entgegen.

Die Kraft ist dieselbe und es ist eine aufregende Erfahrung mit ihr zu tanzen, sie zu spüren und eins mit ihr zu werden.

 

Bernd Schäfer

 

 

   

 

 

       

 

 

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